Hunsrücker Platt

 

Die Lebensgeschichte

von Erich Franz

Kapitel I - Kindheit

Kapitel II - Jugendzeit und Nationalsozialismus

Kapitel III - Nachkriegszeit

Kapitel IV - Anfang einer neuen Zeit



Ich, Erich Franz, geboren am 4.02.1926, wurde gebeten, die 95 Jahre meines langen Lebens niederzuschreiben.

Ob mir das noch gelingt, habe ich selbst berechtigte Zweifel. Ich will es trotzdem versuchen, die Erinnerungen der vergangenen Jahrzehnte noch einmal lebendig werden zu lassen.

Kapitel I - Kindheit
 

Meine Eltern:
Albert Franz geboren 10.09.1897
Emma Franz, geb. Freiß geboren 8.07.1902

Mein Vater war Soldat im ersten Weltkrieg 1914 – 1918.
In dem schlimmen Stellungskrieg in den Ardennen mit sehr vielen Opfern auf beiden Seiten, geriet er in französische Gefangenschaft.
Ich habe sehr oft, als Kind, wenn die Verwandten auf Besuch waren, mitbekommen, wie das alles so abgelaufen ist in den Schützengräben.

Es waren damals auch sehr schwere Nachkriegsjahre. Hinzu kam dann die Inflation und die Menschen standen praktisch vor dem Nichts.
In dieser schweren Zeit heirateten meine Eltern. Mein Bruder Helmut kam am 19.12.1923 auf die Welt. Ich folgte ihm nach knapp 2,5 Jahren, am 4.02.1926.

Die schlechten Zeiten besserten sich nicht. Es kam zu der schwersten Wirtschaftskrise weltweit. Mein Vater hatte das Stellmacher Handwerk erlernt und war eine kurze Zeit vor seiner Heirat am Niederrhein beschäftigt, wo viele Hunsrücker Brot und Arbeit fanden. Vater machte trotz allem die Meisterprüfung und machte sich selbstständig.
Es muss sehr schwer gewesen sein, eine Großfamilie zu ernähren und zu versorgen. Am 30. Juli 1929 gesellte sich Schwester Maria und Bruder Willi am 11. Oktober 1933 hinzu.

Die Großeltern Friedrich und Katharina wohnten auch mit im Haus. Auch Tante Martha war bis zu Ihrer Heirat oft mit von der Partie.
Alles spielte sich in der Küche ab. Gemeinsam Kochen, Essen, Waschen der Reihe nach am einzigen Waschbecken im ganzen Hause.

Am Wochenende war nicht nur Badetag, auch Schuhputztag, da mussten wir antreten. Schuhe waschen, trocknen und einfetten, kontrollieren ob Nägel fehlten. Wir Jungs hatten stets ,,genälde Schuh“. Das Bad am Wochenende fand notgedrungen im warmen Kuhstall statt. Es gab noch keine Badezimmer. Der Bottich wurde mit warmen Wasser aus der Küche gefüllt und dann wurde abwechselnd gebadet. Der schmutzigste kam als letzter! Alle hatten das gleiche Parfüm. Die Toiletten, das stille Örtchen mit dem Herzen war über der Jauchegrube oder im Nebengebäude zu derselben. Für die Bedürfnisse in der Nacht gab es Urintöpfe, sogenannte ,,Pinkeldebbe“ die hatten Ihren Platz unter den Betten.
Das Abwasser aus der Küche und Waschbecken wurden ins Freie geleitet. In den Straßengraben, wo alles Abwasser samt Überlauf der Jauchegrube sich sammelten und zu den Bächen flossen. Wir hatten seiner Zeit noch sehr strenge Winter, dann froren die Abwässer und es bildeten sich durchs ganze Dorf Eisflächen. Zur Freude der Kinder die das gründlich ausnutzten zum Schlittenfahren und Schlittschuh laufen.
Zum Ortsbild gehörte auch ein Misthaufen fast vor jedem Haus mit den Mistkratzern darauf.  (Hühner beim Würmer suchen)

Die Küche war gleichzeitig die Waschküche. Nicht immer ging alles reibungslos vonstatten. Kein Wunder. Die gute Stube war heilig und Tabu im Alltag. An Weihnachten und anderen Festtagen und Familienfeiern vorbehalten. An die Zeit vor meiner Einschulung habe ich kaum noch Erinnerungen. Wir waren vier in unserem Jahrgang. Es war eine große Umstellung für mich. Hier hörte ich das Erste mal etwas vom Nationalsozialismus und ,,unserem Führer Adolf Hitler.“ Ich kann mich noch erinnern wie wir als kleine Kerlchen durchs Dorf liefen und riefen: ,,Deutschland erwache – Moskau zerkrache“  (Wer hatte uns so was beigebracht ?). Auch im normalen Unterricht war und blieb das Thema Nationalsozialismus aktuell. Zum Beispiel und das fand ich gut, es wurde angeordnet dass jedes Kind eine Zahnbürste bekam und wir mussten am Känel (Dorfbrunnen) antreten zum Zähneputzen. Daheim hat man das zunächst belächelt, meine Eltern hatten bis dahin noch keine Zahnbürsten, aber man hat es dann doch für gut befunden.

Die alten Menschen hatten meistens wenig oder sogar keine Zähne mehr. ,,Die hon emmer gesaht, eich koue off de Bellere (Zahnfleisch und Kiefer).“ Man kam auch kaum zum Zahnarzt. Im Notfall hatten wir einen ehemaligen Sanitäter (Peresch – Fritz) im Dorf, der mit einer robusten Zange und ohne Betäubung die kranken Zähne entfernte.

Im Unterricht hatte ich so meine Probleme. Rechtschreibung und Schönschrift waren für mich kein Lieblingsfach, schaffte aber dennoch einen mittleren Abschluss. Die ganze Schulzeit war nach heutiger Sicht überschattet von dem NS Problem. Man war gewohnt sich gegenseitig mit guten ,,Morgen oder guten Tag zu grüßen“ und sollten, oder mussten, jetzt mit ausgestrecktem Arm ,,Heil Hitler“ sagen ? Wir Kinder waren stets im Zwiespalt, wie wir es machten war es verkehrt.

Dann kam die Zeit mit der ersten Uniform. Kann man einem Kind verdenken, dass es damit ein bisschen stolz war ?! Nun lernten wir marschieren und dabei ein Lied zu singen, Sportwettkämpfe und so alles was zu ordentlichen, tapferen Jungen gehört. Es war alles abgestimmt auf das was auf uns zu kommen sollte. Wir hatten dennoch eine Zeit im Dorf mit Freiheiten, die man Heute nicht mehr kennt. Die Straße gehörte uns (es gab fast noch keine Autos) zum Spielen Rad fahren, Reifen schlagen, off der Gass kleggere“ und vieles mehr.

Schöne und strenge Winter waren noch die Regel. Schlitten, Skier fahren und Schlittschuhlaufen waren ein tolles Vergnügen.

Weihnachten seinerzeit war, ich denke besinnlicher wie heute. Da kam immer die gute Stube mal an die Reihe. Wir waren keine Sänger-Familie, da kam das alte Grammophon zum Einsatz um Heiligabend einzustimmen. Geschenke waren fast nur auf die Bedürfnisse im Alltag gedacht, zum Beispiel etwas für damals für mich und meinen Bruder, etwas Besonderes !! einen Füllfederhalter. (ist heute nicht vorstellbar)

Die Großeltern waren stets mit dabei, Oma war noch sehr rüstig und im Haushalt tätig, Opa habe ich in Erinnerung am Kamin im warme Eck im Sorjestul sitzen dick eingepackt, den Spucknapf vor sich stehen.

Einmal war ich mit Ihm allein in der Küche und wie die Lausbuben so sind, de Opa hat die Augen zu, ich dacht dä schläft, sen an de Schrank on hon en Löffelchen Gelee geschnaust“, so schnell hat ich den Opa schon lang nicht mehr gesehen, schon hat ich paar Ohrkappe und net so knapp. Wie kann ich dann als Lausbub ach so was mache ?

Kinderarbeit war damals nicht verpönt und wurde auch reichlich genutzt.
Schlimm empfand ich es wenn Waschtag war am heißen Herd zu stehen und die Waschtrommel stundenlang zu drehen vor und zurück.
In der Landwirtschaft mit zu helfen war selbstverständlich, ob beim Dreschen mit Garben anreichen oder in der Kartoffelernte mit der Hacke in der Reihe stehen, wir Kinder außen links oder rechts damit wir nebenan niemand verletzen konnten. Aber außen war es meisten steinig und hart.
Meine Oma hatte wie immer ein einsehen und wechselte mit mir den Platz. Das war nicht gut, es dauerte gar nicht lange, hatte ich die Oma mit der Hacke von unten am Kopf getroffen und musste blutend nach Hause.

Der Lehrer machte auch keine Ausnahme, jedes Jahr durften wir statt Schule, dem Lehrer seine Brennholzscheite in den dritten Stock tragen und dort stapeln. Als Belohnung gab es Bonbons.

Es gab so einiges was man sich nicht mehr vorstellen kann, zum Beispiel durften wir auch auf Anordnung der Behörden mit der Schule Kartoffelkäfer suchen gehen und ablesen gehen, um eine Ausbreitung zu verhindern. Dabei war ich der Erste und Einzige, der einen fand. Man lese und staune dafür gab es eine Belohnung! Eine Anstecknadel mit Käfer.

zrick an de Anfang

  Kapitel II