Hunsrücker Platt

Auswanderung nach Brasilien


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(Die Säit in Hunsricker Platt) 

 

Brasilienbrief 1921

von Theodor Claas

 

Ida Claas - Ur-Enkelin Marlene Maristela - Theodor Claas

Bildquelle: Arbino Claas


Sinimbu, den 18. Mai 1921

Liebe Verwandten

Der letzte Brief von Euch vom 14. Januar 1921 ist hier am 6. März 1921 angekommen. Es hat uns sehr gefreut daß ihr nach den schweren Kriegsjahren und den bitteren Enttäuschungen, die auch wir mit Euch teilen, an uns gedacht habt. Ich hätte schon längst euren Brief beantworten sollen, aber wenn man eine große Familie zu versorgen hat, muß man sich schon eine arbeitsfreie Zeit dazu aussuchen. In Beantwortung eurer Fragen kann ich euch mitteilen, daß es uns während des Krieges ganz gut ergangen ist.

In Porto Alegre allerdings, wurde infolge Versenkung des brasilianischen Dampfers „Paraná“ *, der angeblich von deutschen U-Booten versenkt wurde, vom Pöbel Feuer an deutsche Handelshäuser gelegt. Es passierte aber, daß dabei brasilianische Handelshäuser mit niederbrannten. Der allgemeine Schaden belief sich auf ungefähr 20 Millionen Milreis.
Unser Staatspräsident, Herr Borojes de Medeiros, lies das deutsche Konsulat durch Militär beschützen. Er ist für die Untat nicht verantwortlich zu machen. Ihm verdanken wir auch unser Wohlergehen während der schweren Zeiten.
Ebenfalls haben wir es ihm zu verdanken, daß wir in unserem Munizip (Verwaltungsbezirk) Santa Cruz die ganzen Jahre einen Bürgermeister deutscher Abstammung hatten und noch haben.
Wohl wurden wir von unseren brasilianischen Mitbürgern schief angesehen, aber das hat sich jetzt wieder gelegt. Auch sonst waren überall Vorkommnisse zu verzeichnen, der Ursprung nur auf Deutschenhass zurückzuführen ist, die aber im Gegensatz zu euren Verhältnissen mit den feindlichen Nationen, nur als Kleinigkeiten zu betrachten sind.

Die allgemeine Wehrpflicht ist seit fünf Jahren in Brasilien eingeführt worden. Das dabei die Deutschen am zahlreichsten ausgeloben werden, hat seinen Grund darin, daß die brasilianische Militärverwaltung die deutschen Jungen tauglicher findet als die anderer Nationen. Ferner ist in Betracht zu ziehen, daß die farbigen Brasilianer zum größten Teil als sogenannte Buschmänner, ihre Kinder nicht ins Zivilregister eintragen lassen, was zur Folge hat, daß die Regierung dieselben nicht ausloben kann, weil sie keine Ausweise erbringen kann und überhaupt keine Ahnung hat, ob solch Leute überhaupt da sind.
Aus meiner nächsten Verwandtschaft sind bisher 3 ausgeloben. Zwei Schwäger und 1 Neffe. Zwei davon haben ihre Pflicht bereits genügt, während ein Schwager gegenwärtig in Santana do Livramento sein Dienstjahr angetreten hat.
Ernst Claas, ein Enkel von meinem Onkel Peter Claas, ist an Typhus gestorben. Er hatte sein Jahr abgedient und war wieder in Freiheit als ihn die tückische Krankheit aufs Krankenbett warf, von der nicht wieder aufstand. Seine Heimat bekommt er nicht mehr zu sehen.

Herr Pfarrer Zwich hat das Pfarramt unserer Gemeinde Rio Pardinho übernommen. Er war vorher Pfarrer in Rumänien. Unsere Nachbargemeinde Sinumbu hat sich Herrn Pfarrer Schweinitz zu ihrem Seelsorger berufen. Beide sind vor kurzem aus Deutschland nach hier gekommen.
Das ihr drüben für die Riograndenser Synode Geld sammelt, ist sehr edel gehandelt, aber unser Empfinden sagt uns, daß die Riograndenser Synode in Betracht des großen Elends in Deutschland unter den Kindern, das Geld nicht annehmen sollte, sondern dasselbe lieber an die armen Kinder verteilen ließe.
Bitteres Weh schleicht sich einem ins Herz wenn man hört, daß ein armes unglückliches Volk Geld sammelt für ein anderes Volk, das in besseren Verhältnissen lebt. Ich weiß nicht, ob ich hier das richtige getroffen habe, aber meine Gefühle sagen mir, daß die riograndenser Protestanten die Synode aus eigener Tasche unterstützen und fördern könnten.
Soeben laß ich in der „Kolonie" daß Herr Pfarrer Dedekind, der euch ja bekannt ist, voraussichtlich im Juli oder August für die Deutschen in Südamerika nach hier kommt.

Die furchtbare Teuerung, die sich in der ganzen Welt breit macht, haben wir auch durchzukosten. Es ist auch alles 2 - 3 oder 4 mal so teuer als vor dem Kriege. Dagegen gehen die Produktpreise herunter, daß es manchem wohl um seine Existenz bange wird, wenn es nicht bald einen Umschwung gibt.
Die Preise sind ungefähr folgende: Einen halben Sack Weismehl kostete vor dem Krieg 7 bis 8 jetzt 28-30 ts. 1 Sack Salz 4-5 ts jetzt 10 ts. 1 Kilo Zucker 700 rs jetzt 1400-1800 rs. 1 Flasche Bier 600 rs jetzt 1300 rs, 1 Paar Schuhe 12000 rs jetzt 30-36 ts. 1 Kilo Rindfleisch 400-500 rs jetzt 1 ts-1300 rs. 1 ko. Kaffee 1600 jetzt 2500 rs. 1 Wagen 260 ts, jetzt 500 ts bis 600 ts. 1 Pflug 85 ts jetzt 200 ts. Tabak, Speck, Bohnen und Mais sind fast um 1/3 billiger geworden, jedoch haben diese Artikel in diesem Jahr mit geringen Schwankungen ihre Preise beibehalten. Der Tabakpreis vom Jahrgang 1920 war je nach Qualität zwischen 10 ts.- 20 ts. per Arroba. 1 Arroba Speck kostet 15 ts., 1 Sack Bohnen 10 ts., 1 Sack Mais 10 ts., 1 Sack Kartoffeln 10-15 ts.
Das wären ganz gute Preise, wenn leider die vielen Mißernten nicht wären. Kartoffeln haben wir schon mehrere Jahre nicht mehr in genügender Menge geerntet.
In der vorjährigen Winterernte haben wir sogar nur 1/2 Sack geerntet zum essen. Die letzte Frühjahrsernte ergab 10 Sack Esskartoffeln. Die jetzige Winterernte steht vor der Tür. Sie wird aber infolge 4 vorher gegangener Dürren kläglich ausfallen, so daß wir froh sind wenn wir genügend Samen für die nächste Aussaat bekommen.
Unsere Hauptnahrung besteht aus schwarzen Bohnen, Maniok, Brotfladen, Reis und Schweinefleisch.

Im Jahre 1915 hatten wir große Trockenheit. Wir waren, um unser Vieh nicht verhungern zu lassen, gezwungen dasselbe mit Gurken zu füttern. Um das nötige Wasser für das Vieh zu beschaffen, gruben wir tiefe Löcher in den Sümpfen. Wir standen damals wirklich in einer bösen Zeit.
Als dann kurz vor Weihnachten der lang ersehnte Regen fiel, war die größte Sorge von uns genommen. Die Ernte war wie voraus zusehen eine schlechte.
Im Jahr 1919 dem 22. November kam dann die große Überschwemmung. Die ältesten Bewohner konnten sich nicht erinnern daß der Rio Pardinho jemals so groß war.
Ungeheuer groß war der Schaden und die Not der Bewohner der Tiefländer im ganzen Munizip (Bezirk). Viele Häuser, Stallungen und Tabaks trocknende Schuppen spülte das Wasser einfach weg.
Die Ackerkrumen wurden so tief wie der Pflug ging und noch tiefer weggerissen. Viel Vieh, ein Pferd, Kühe, Rinder, Schweine und Hühner ertranken. Und was noch schlimmer war, die armen Menschen die dabei umkamen.
Das beste Ackerland, die Tiefebenen von Sinumbu und Rio Pardinho sind auf lange Zeit verwüstet. Durch unermüdliche Ausdauer und Zähigkeit vermögen wir es vielleicht in 10 Jahren zur selben Ertragsfähigkeit zu bringen wie vorher.
Für die Verunglückten die durch das Unglück fast gänzlich verarmt waren wurden sofort mildtätige Sammlungen veranstaltet, um denselben wieder Betten, Kleider und Lebensmittel zu verschaffen.

Die vier Brüder leben noch, sie lassen sich bedanken für die Nachfragen. Mein Onkel Peter ist 77 Jahre alt. Das Alter macht sich schon sehr bemerkbar. Mein Vater ist 75 Jahre alt. Onkel Fritz wird im Juni 72 Jahre. Onkel Philipp ist 64 Jahre alt.
Unsere Familie besteht aus 11 Köpfen, meine Eltern, Ich und meine Frau und 7 Kinder. Ich bin 39 Jahre, meine Frau ist 35 Jahre alt. Von den Kindern, 3 Buben und 4 Mädchen ist das älteste 14 Jahre und das jüngste 4 Monate alt.
Vater lässt sich bedanken für die Auskunft über Hundheim und sendet euch sowie seinen Angehörigen dort die herzlichsten Grüße, ebenso seinem Jugendfreund David Wagner läßt er herzlich grüßen.

Viele Grüße von mir und meiner Familie sendet Euch
Theodor Claas


* Am 5. April 1917 wurde das große brasilianische Dampfschiff Paraná (4.466 Tonnen), das mit Kaffee beladen und gemäß den Anforderungen an neutrale Länder unterwegs war, von einem deutschen U-Boot torpediert, wobei drei Brasilianer getötet wurden.
Als wenige Tage später die Nachricht vom Untergang der Paraná in Brasilien eintraf, brachen in der Hauptstadt mehrere Proteste aus. Der Minister für auswärtige Beziehungen, Lauro Müller, ein Bürger deutscher Herkunft mit einer pro-Neutralität Position wurde zum Rücktritt gezwungen. In Porto Alegre wurden zunächst friedliche Märsche mit Tausenden von Menschen organisiert. Später griffen die Demonstranten Geschäfte und Grundstücke von Volksdeutschen oder deren Nachkommen an, wie das Hotel Schmidt, die Deutschlandgesellschaft, den Club und die Deutsche Zeitung sowie den Turnerbund, die überfallen, geplündert und angezündet wurden. Am 1. November 1917 beschädigte ein aufgebrachter Mob in Petropolis Häuser, Clubs und Fabriken, darunter das Restaurant Brahma (völlig zerstört), die Gesellschaft Germania, die Deutsche Schule, die Firma Arp und das Deutsche Journal. Gleichzeitig kam es in anderen Städten zu kleineren Demonstrationen.
Episoden mit Gewalt wiederholten sich bis zur Kriegserklärung Brasiliens an Deutschland und seine Verbündeten im Oktober 1917.
Quelle: Wikibrief – Brasilien im Ersten Weltkrieg


Der Originalbrief als PDF: Brasilienbrief 1921

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