Sinimbu 18. Juli 1914
Liebe Verwandten
Ihren Brief vom 3. Juni haben wir am 6. Juli erhalten.
Irrtümlicherweise wurde er an Onkel Peter seinen Adam abgegeben, von
ihm erbrochen und durchgelesen, wurde der Irrtum entdeckt.
Mit einem Gefühle innerer Zufriedenheit haben wir Ihren Brief
gelesen und freuen uns aufrichtig über Ihr glücklich bestandenes
Examen.
Wir gratulieren und beglückwünschen Sie zu diesem Erfolg und
gestehen es uns offen, daß wir in Brasilien es nicht soweit bringen
werden. Wir sind stolz darauf daß einer aus unserer Familie,
besonders aus der Familie Claas es ist, der es verstanden hat, sich
eine höhere Stellung in der großen Welt zu erwerben.
Ihr Gehalt entspricht nach unserem Gelde einem Werte von 5125500
rs einem Gehalt, wie es hier in Santa Cruz der oberste
Munizipalbeamte (Bürgermeister) bekommt.
Was das Familienerbe anbetrifft, so könnte
sich dies vielleicht durch Ausbildung und guten Schulen, längere
Jahre hindurch fortgesetzt, besser entfalten, wie es so der Fall
ist. Immerhin gibt es Personen in unserer Verwandtschaft, die nicht
gerade dumm sind.
So ist z.B. Jakob Claas ein Sohn von Onkel Peter, sozusagen für die
hiesigen Verhältnisse ein Allesmacher. Architekt, Tischler usw. Er
ist ein Praktiker, wie man sie hier selten findet. Auch sein Bruder
Peter ist fachmännisch veranlagt, nur etwas bummelig, und hat es
durch Leichtsinn soweit gebracht, daß es ihm nicht vom besten geht.
Was Peter Hölz anbelangt, so können wir bestätigen, daß er wirklich
was von dem Familienerbe abbekommen hat, denn er ist ebenfalls
Zimmermann ohne in die Lehre gegangen zu sein.
Wie es kommt, daß die Kinder ihres Onkels Ihnen nicht schreiben,
können wir ihnen momentan nicht schreiben. Die Entfernung zwischen
unserer und Hölz ihrer Wohnung ist eine sehr bedeutende. Wir werden
uns aber bemühen, Hölzen Ihre Wünsche beizubringen, und ihnen
diesbezüglich kräftig auf den Zahn zu fühlen.
Daß sie drüben durch Vorträge mit Lichtbildern für unsere Kirchen
und Schulen zu werben versuchen, ist sehr lobenswert, und ein Beweis
edler Gesinnung uns Deutsch-Brasilianern gegenüber, der uns sehr
erfreut.
Über die Schulverhältnisse in unserem Land können wir Ihnen nichts
recht Zusagendes schreiben. Erstens sind die Schuljahre zu kurz
bemessen, die Kinder gehen 3-4 Jahre in die Schule. Und zweitens
sind unsere hervorragendsten Lehrer alle an Regierungsschulen
angestellt, wo dann die Kinder in allen beiden Sprachen unterrichtet
werden.
Dabei lernen die Kinder in der kurzen Zeit nicht richtig Deutsch
schreiben, und in der Landessprache sieht es noch schlechter aus. Und
so kommt es, daß die Kolonistenkinder sich in Wirklichkeit mit
Brasilianern nicht verständigen können.
Und drittens, die kleinen Privatschulen mit ihrem ewigen Wechsel der
Lehrer, können den Kindern so gut wie nichts bieten. Unter den
Lehrern dieser letzten Schulen sind solche dabei, die nicht imstande
sind richtig nach der Orthographie zu schreiben. Dieses gilt
natürlich nicht für alle Privatlehrer.
In Kirchenangelegenheiten hatten wir dieses
Jahr in allen beiden Kirchen, Sinimbu und Rio Pardinho ziemlichen
Radau. Da ist zunächst die Gemeinde Sinimbu, die wollte einen
Glockenturm anbauen. Als nun der festgesetzte Tag der Versammlung da
war, erschien ein Gemeindemitglied, ein gewisser Hennig, der plante
eine neue Kirche 1/4 Stunde unterhalb der alten Kirche zu bauen.
Dadurch entstand dann der Streit. Eine Partei war für die neue
Kirche, die andere für die Alte.
Um nun mit dem Bau der neuen Kirche vorwärts zu arbeiten, sollte
dann eine neue Gemeinde gegründet werden, dabei langte man aber mit
langen Armen hinunter in die Gemeinde Rio Pardinho, um dann auch ein
paar Mitglieder abzuzwacken, und das wollten die sich nicht gefallen
lassen.
Was aus der Geschichte wird, können wir heute noch nicht sagen, wenn
gewisser Hennig, der zur Zeit in Europa weilt, zurückkehrt wird die
Geschichte wieder von vorn anfangen, da er ein einflussreicher
Geschäftsmann ist.
In unserer Gemeinde Rio Pardinho war auch eine kleine Rebellion
ausgebrochen, wurde aber wieder glücklicherweise von vernünftig
denkenden Männern bald wieder gedrückt. Hier handelte es sich um
eine in der Nähe der Kirche gelegene Wohnung zum Zweck eines
Pfarrsitzes anzukaufen.
Das Blatt "der deutsche Aussiedler ist uns hier nicht bekannt. Wo
wird es ausgegeben ? Wenn sie sich über unsere Gegend interessieren
und gern über unsere Umgegend etwas lesen wollen, so kann ich Ihnen
als sehr verbreitetes Blatt: Die Zeitung "Kolonie" von Santa Cruz empfehlen.
In Rio Pardinho haben wir Kolonisten eine Landwirtschaftliche
Genossenschaft (Cooperativa Agricola) gegründet. Unser
Hauptaugenwerk haben wir dabei auf die Verbesserung unseres heutigen
Tabaks gerichtet. Ein großes Geschäft wird von der Vereinigung
nebenbei geführt.
Es ist nämlich durch die Tabakfabriken in Santa Cruz so weit
gekommen, daß wir den Tabakhandel zum Teil selber übernehmen mußten,
um wenigstens dadurch einen besseren Preis zu erzielen. Bekanntlich
schneiden die Tabakfabriken in Santa Cruz nur den schönen hellen
Tabak, während sie den dunklen und II Sorte nach den großen Städten
und ins Ausland schicken. Dadurch ist es gekommen, daß unser Tabak
im Ausland nicht im besten Ruf steht. Wir hoffen aber bestimmt, daß
durch unsere Genossenschaft (zur Zeit bestehen in unserem Munizp
Santa Cruz 8-9 solcher Vereinigungen) wieder helle und dunkle Waren
nach dem Ausland kommt, und dort einen besseren Wert bekommt.
Über Familienverhältnisse gibt es eine Menge zu schreiben.
Da ist zunächst Onkel Peter seine Tochter Maria zu erwähnen.
Dieselbe war mit Heinrich Wegener verheiratet. Sie hatten ein großes
Koloniegeschäft ganz in unserer Nähe, machten aber durch
leichtsinniges Handeln und auch durch großartige Verschwendung
pleite. Bei diesem Bankrott wurden die Verwandten sowie die Freunde
sehr geschädigt. 5 Jahre nach diesem Vorfall, starb er in Santa
Cruz, und hinterließ ihr ein gut gehendes Hotel.
Ich muß noch ein Blatt nehmen. Nach einigen Jahren ging dann ihr
einziger Sohn nach den La Plata Staaten Managos und Amazonas in die
Gummiwälder und übernahm eine Stelle in einem Gummigeschäft. Anfangs
schrieb er öfters nach Hause, aber seit langer Zeit bleibt jegliches
Lebenszeichen von ihm aus. Ob er noch lebt fragt man sich hier ?
Sie heiratete dann vor zwei Jahren einen gewissen Ortmann
(katholisch) aus Düsseldorf. Nachdem beide gemeinsam das Hotel
weiterführten, begab es sich, daß sie durch häuslichen Unfrieden die
Wirtschaftseinrichtung verkauften und nach Berlin, Cranz an der Elbe
und Hamburg reisten. Von dort sind sie wieder zurückgekehrt, wo sie
aber jetzt vom Winde hingejagt sind, weiß hier kein Mensch.
Aus unserer Familie gibt es auch von Krankheiten zu berichten. Meine
Schwester Emma ist schon viele Jahre krank, sie ist schon bei allen
Ärzten in Santa Cruz gewesen. Kürzlich kam sie erst nach
5-wöchentlichem Aufenthalte in Dr. Hoffmanns deutschem Sanatorium
nach Hause, ohne rechte Hilfe gefunden zu haben.
Meinem Bruder Hermann seine Frau ist auch 4 Wochen dort gewesen, sie
ist ziemlich wieder hergestellt.
Bruder August hat sich eine Mahlmühle gebaut, er wohnt in der
Querpikade dicht bei Jakob Hölz.
Maria, die älteste Schwester wohnt in Villa Teresa, es geht ihr gut
und ihrer Familie.
Bei uns im Vaterhaus ist soweit noch alles gesund. Vater und Mutter
sind munter und rüstig.
Wir haben dieses Jahr einen sehr milden Winter, den ganzen Winter
hatten wir gar keinen Reif, Schnee kennen wir bei uns nicht. Voriges
Jahr war es ebenfalls im Winter immer freundliches Wetter. Was uns
nicht gefällt, ist der viele Regen der zur Zeit hier fällt. Unsere
Straßen sind dadurch auf Stellen fast unpassierbar geworden. Aus
Santa Cruz kamen in der Sommerzeit öfters die Städter auf
Automobilen nach Sinimbu. Dieses Vergnügen ist ihnen jetzt durch die
schlechten Straßen versagt.
Ich hätte eine Bitte an Sie. Wenn Sie noch mal schreiben, seien Sie
so gut und setzen Sie hinter den Namen Adam Claas ein "tio"
dahinter, das ist soviel wie Onkel und der Brief wird direkt in
unser Haus geschickt. Es ist schon öfters vorgekommen, daß Briefe an
meinen Vater adressiert, an Adam Claas Sohn von Peter Claas
abgegeben wurden.
Ich will nun schließen und herzlich grüßen,
Grüße von Mutter und Vater an Sie und ihre Familie, ebenso grüßen
sie alle Verwandten aus Hundheim von Ihnen. In seinem Auftrag habe
ich diesen Brief geschrieben und hoffe daß er Euch in bester
Gesundheit antreffen möge.
Und nochmals seid alle recht herzlich
gegrüßt von Ihrem ergebenen Theodor Claas.
Nachtrag: Da sie das letzte Bild ihres Vaters an
Onkel Hölz geschickt haben, war es sein und auch meines Vaters
Wunsch, Ihnen das Orginalbild nebst einem Bilde einer Neuaufnahme
zurückzusenden. |