Rio Pardinho den 27. Januar
1895
Lieber Freund David Wagner !
Ich habe schon vor drei Jahren an Georg Peter Claas geschrieben und
noch eine Beilage von seiner Wächters Gothe, einer Vogelsbrust, und
habe noch keine Antwort erhalten.
Ich weiß nicht ist er von seinen Leiden erlöst worden oder ist der
Brief nicht angekommen. Nun schreibe du mir wie es mit ihm steht,
sollte ich dieses Rätsel nicht erraten haben so geb ihm dieses
Schreiben auch zu lesen damit er mir dieses Rätsel lösen tut.
Nun will ich dir auch schreiben wie es uns in der Revolution
gegangen hat, wir sind noch Gott sei Dank mit heiler Haut
davongekommen. Wenn uns die Gefahr gedroht hat, dann haben wir
Kisten und Kasten aufgepackt und sind in den Wald geflüchtet. Meine
Familie mußte zwei Nächte außer dem Hause schlafen, ich habe immer
das Haus bewacht aber es war nicht nötig denn es ist nichts
gekommen.
Voriges Jahr am 10. Februar 1894 wurde Santa Cruz gestürmt. Morgens
um 4 Uhr ward die ganze Stadt umstellt, da sollten alle Beamten
getötet werden. 2 von den Obersten waren so nahe dran daß sie nicht
einmal Zeit hatten sich anzukleiden und sie mußten sogar mit den
Unterhosen das Haus verlassen. Sie mußten Stunden weit laufen ehe
sie sich die Kleider anziehen konnten.
Da plünderten die Aufständigen 3 Tage lang in der Stadt. Am 13.
Februar des Morgens früh donnerten die Regierungskanonen wieder in
die Stadt. Dann kämpften sie vier Stunden lang, bis sich die Aufständigen zurückzogen. In diesem Kampfe fielen 15 Mann.
Es war ein Glück für uns daß der Feind einen Tag früher kam, alle
Deutschen waren schon schlagfertig, bloß unsere Pikade noch nicht.
Meines Tochtermann und alle meine Brüder und Brüdersöhne waren schon
schlagfertig, da sind die Aufständigen vorbeigezogen, sonst wären
wir mitten im Feuer gewesen. Dabei nahmen sie mir ein Pferd mit,
welches ich bis heute noch nicht wiedergesehen habe und auch nichts
mehr bekommen habe. Das sind meine ganzen Verluste die ich bei der
Revolution erlitten habe.
Man kann überhaupt sagen es waren für uns Kolonisten gute Zeiten.
Wir pflanzten und ernten und kehrten uns an keine Revolution mehr
und unsere Produkte hatten rasende Preise, jedes Kilo Speck kostet 1
Mark, Mais 6 Mark, 1 Sack Kartoffeln 4 Mark.
Ich wünschte doch, die Revolution wäre bald zu Ende, denn es ist
schon manches Blut vergossen worden. Es ist schon mancher Vater und
mancher Sohn von der Familie entrissen worden und nun viele Witwen
mit den Kindern derben müssen.
Es ist sogar in diesen Tagen ein Flecken gestürmt worden, wobei
einem Mann der Hals abgeschnitten worden ist und alle Kaufleute
geplündert wurden. Die feindliche Schar wollte den Bürgermeister
umbringen, da nun der ermordete Mann die Banden verraten hat mußte
er sein eigenes Leben einbüßen.
So kann es noch lange dauern, die Regierungspartei gibt nicht auf
und die andere Partei läßt nicht nach. Es drohen immer Gerüchte es
ginge von neuem los. Wer weiß wie es noch werden wird.
Nun muß ich auch berichten daß meines Bruderstochtermann, Heinrich
Wegener, voriges Jahr mit seiner Frau und seinem einzigen Sohn
drüben in Deutschland war. Er wollte euch besuchen aber es war ihm
nicht vergönnt, denn sein Sohn war zwei Monate krank, er lag nahe am
sterben. Als er genesen war mußten sie sich auf die Reise begeben
nach Brasilien, denn der Winter ward nahe.
Er war bei seiner Mutter und Brüdern auf Besuch, als er wieder
zurück kam brachte er seine Mutter und zwei Brüder mit ihren
Familien mit. Der eine kaufte sich eine Kolonie für 13.000 Mark, der
andere hat eine Gastwirtschaft in Santa Cruz.
Seine Mutter wohnt bei ihm, er ist Kaufmann. Er brachte viele Waren
mit aus Deutschland. Er hat zwei Läden, einen in Santa Cruz und
einen hier in Rio Pardinho. Ein Bruder ist noch in der Heimat bei
Hamburg Cranz an der Elbe.
Während der Reise hielt mein Bruder Peter Claas mit einem
Ladendiener das Geschäft offen.
Nun muß ich dir auch berichten daß uns die Heuschrecken wieder
überfallen haben. Als sie geflogen kamen fraßen sie uns die Bohnen,
das Korn und das Gemüse alles ab, bloß die Kartoffeln ließen sie
stehen. Nun legten sie die Brut wieder in die Erde so daß nach sechs
Wochen die Erde mit jungen Heuschrecken bedeckt war. Nun mußten wir
sie begraben daß keine mehr übrig blieb.
Als dies vollendet war, bepflanzten wir das ganze Land mit Mais. Der
steht jetzt in voller Blüte und verspricht eine gute Ernte. Die
Kartoffeln sind auch gut geraten, wir essen jeden Tag zweimal.
In unserer Familie steht es noch immer beim alten, bloß bei meinem
Bruder Philipp hat sich die Kinderzahl um eines vermehrt, es sind
jetzt sieben wovon zwei aus der Schule sind.
Mein jüngster Sohn kommt auch diese Ostern aus der Schule.
Nun will ich mein Schreiben schließen und tue auch alle
vieltausendmal grüßen.
Grüße mir auch alle deine Geschwister und schreibe mir dessen Namen
wer dein Schwager in Hundheim ist.
Grüße mir J.P. Claas und seine ganze Familie und schreibe mir ihre
Familiennamen, denn ich weiß noch nicht ihre Familiennamen. Und noch
einen besonderen Gruß an Peter Gewehr. Grüße mir alle diejenigen die
noch meiner gedenken.
Nun denn Gott zum Gruß und ein glückliches neues Jahr und ich
wünsche daß dieser Brief euch bei guter Gesundheit antreffen wird.
Amen.
Adam Claas |